
Vor 30 Jahren führte Continental erstmals Silica in die Laufflächenmischungen für Pkw-Reifen ein. Das revolutionierte deren Fahrsicherheit und Energieeffizienz. Dank der besonderen Oberflächeneigenschaften von Silica, auch bekannt unter dem Namen Kieselsäure, konnte der Rollwiderstand von Reifen erheblich reduziert und die Bremswege im Vergleich mit heute um fast die Hälfte verkürzt werden. Heute hat Kieselsäure weitgehend Industrieruß im Laufstreifen ersetzt und ist aus vielen Gummimischungen für Auto-, Van- und Zweiradreifen nicht mehr wegzudenken. Und: Die Produktion des Füllstoffs wird immer nachhaltiger. Continental nutzt bereits heute nachhaltiges Silica, das aus der Asche von Reishülsen gewonnen wird.
Wie Continental dazu kam, Silica erstmals in Reifengummimischungen einzusetzen und wie das Unternehmen diese Innovation heute weiter vorantreibt, das erzählen die Continental-Experten Prof. Dr. Burkhard Wies, Leiter Angewandte Forschung und Innovation, und Dr. Hajo Weinreich, Mischungsentwicklung Ultra High Performance Tires (UHP) im Gespräch.
Wies: Silica, oder auch zu Deutsch Kieselsäure, ist ein weißer, kristalliner Feststoff, der natürlich in Gesteinen wie Feuerstein oder Quarz vorkommt. Kieselsäure wird in vielen Industrien verwendet. So wird der Füllstoff beispielsweise in der Bauindustrie in der Beton- und Ziegelproduktion eingesetzt. Damals wie heute wird Silica überwiegend aus Quarzsand gewonnen. Für den Einsatz in der Reifenproduktion ist dieses kristalline Silica allerdings ungeeignet, da es mit dem Kautschuk nicht ausreichend wechselwirkt. Deshalb wird es in einem technischen Prozess in das sogenannte amorphe Silica umgewandelt, das sich dann als Füllstoff für Laufflächengummimischungen eignet. Dieses aufbereitete, amorphe Silica beziehen wir direkt vom Lieferanten.
Wies: Durch den Einsatz von Silica als Füllstoff (statt Industrieruß) in der Laufflächenmischung verbesserte sich die Nasshaftung von Reifen sowie der Rollwiderstand erheblich. Gleichzeitig hält der Reifen sehr hohen Beanspruchungen stand. Zusammen mit der Einführung von passiven Sicherheitseinrichtungen wie dem Sicherheitsgurt, dem ABS-Bremsen und konstruktiven Maßnahmen am Pkw hat diese „Revolution im Reifenbau“ mit dazu beigetragen, die Zahl der Verkehrsopfer deutlich zu verringern.
Weinreich: Seine Eigenschaften werden während des Mischprozesses aktiviert. Es wird dabei mit einem Bindemittel, Silan, zur Reaktion gebracht. Später, in der sogenannten Vulkanisation eines Reifens, wird die Gummimischung bei Temperaturen von 120 bis 160 Grad Celsius gezielt unter Druck gesetzt. Durch spezielle Reifenformen erhält ein Reifen sein charakteristisches Aussehen. Dabei entsteht mithilfe von Schwefel aus der Gummimischung ein biegsamer und elastischer Gummi. Denn der Schwefel bildet bei der Vulkanisation Brücken zwischen den langkettigen Molekülsträngen des Kautschuks aus. Die Kieselsäure geht – unterstützt durch das Bindemittel Silan – zusätzliche Bindungen zwischen einzelnen Kautschukpolymeren ein. So entsteht ein besonders festes Netzwerk zwischen den Kautschukmolekülen.
Wies: Bereits in den 1970er Jahren unternahmen erste Reifenhersteller Versuche, Silica als Feststoff für Laufreifenmischungen zu verwenden. Jedoch ohne Erfolg. Ende 1993 führten wir bei Continental die ersten Versuche mit Silica in Laufflächenmischungen von Pkw-Reifen durch. Mit Erfolg! Wir waren damit einer der Pioniere, die damals im Labor experimentierten und Versuche für neue Reifenmischungen durchgeführt haben. Mitte der neunziger Jahre haben wir mit dem ContiEcoContact CP dann den ersten Serienreifen auf den Markt gebracht.
Wies: Silica in der Reifenmischung wurde eine Erfolgsstory. 1996 folgte dann mit dem ContiWinterContact TS 770 der erste Winterreifen. Wir haben die Bremswege auf Nässe nahezu halbieren können. Das ist ein sehr großer Sicherheitsgewinn, der auf das oftmals recht unbeachtete Produkt „Reifen“ zurückgeht. Neben der Sicherheit darf man auch den hohen Gewinn für unsere Umwelt, für Nachhaltigkeit, nicht vergessen: Wir konnten den Rollwiderstand seitdem um fast 50 % verringern. Dies betraf damals den Kraftstoffdurst, heute geht es bei E-Autos vor allem um die Verlängerung der Reichweite.
Weinreich: Heute schauen wir uns in der Entwicklung an, wie wir mittels neuen Gummimischungen die Reifen noch leistungsfähiger, sicherer und nachhaltiger machen können. Sowohl in Bezug auf den Reifenbau als auch auf die verwendeten Materialien. So forschen wir an der Verwendung von Silica aus alternativen, nachhaltigeren Quellen mit gleichbleibenden oder sogar verbesserten Eigenschaften und Sicherheitsvorteilen.
Als künftiges Ausgangsmaterial für nachhaltig hergestelltes Silica hat sich die Asche von Reishülsen bewährt. Diese sind ein Nebenprodukt der Reisproduktion. Es kann jedoch nicht als Nahrungsmittel oder Tierfutter verwendet werden. Und die Herstellung von Silica aus Reishülsenasche ist sogar energieeffizienter als aus herkömmlichen Materialien wie Quarzsand. Also eine Win-Win-Situation. In unserem bisher nachhaltigsten Serienreifen, dem UltraContact NXT, verwenden wir das Silica aus der Asche von Reishülsen heute bereits serienmäßig. Und das wird erst der Anfang sein. Unser mittelfristiges Ziel ist es, unser gesamtes Silica aus nachhaltigen Quellen zu beziehen.
Weinreich: Nein. Premiumreifen kommen nicht mehr ohne Silica-Mischungen aus. Es gibt noch Produkte, die mit Industrierußmischungen in der Lauffläche auskommen wollen. Aber man sieht deutlich, dass diese Reifen bei den einschlägigen Tests der Fachpresse kaum überzeugen. Gerade in sicherheitsrelevanten Nässeeigenschaften fallen sie durch.
Weinreich: Silica wird auch bei Zweiradreifen verwendet. Den ersten Motorradreifen mit Silica produzierte Continental 2002 – den ContiForce. Wie bei Pkw-Reifen ist die deutlich verbesserte Haftung auf Nässe das zentrale Argument für eine Silica-Mischung im Motorradreifenbereich. Denn hier geht es um jeweils nicht einmal zwei handtellergroße Reifenaufstandsflächen. Ähnlich ist es bei Fahrradreifen. Ganz sicher ist auch bei ihnen die Nasshaftung wichtig, aber der geringere Rollwiderstand gegenüber einer Industrießrußmischung spricht gerade bei Fahrradreifen für Silica-Pneus. Schließlich macht der niedrigere Rollwiderstand das Treten leichter. Dies zeigt sich auch bei den handgefertigten Tour-de-France-Reifen von Continental.